Hombrucher Widerstandskämpfer und Opfer des Nationalsozialismus


 
 
 

An der Fassade der Bezirksverwaltungsstelle Hombruch, dem Standort der ehemaligen Polizeiwache, hängt eine Tafel zur Erinnerung an die Hombrucher Widerstandskämpfer und Opfer des Nationalsozialismus.

Stellvertretend für alle werden dort genannt:
Friedrich Husemann , 1873 - 1935 (62 Jahre), Bergarbeiterführer, Reichstagsabgeordneter der SPD, ermordet am 15. April 1935 im Konzentrationslager Esterwegen

Hans Grüning, 1917 - 1944 (37 Jahre), Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes, am 24. Juni 1944 im Zuchthaus Brandenburg mit dem Fallbeil hingerichtet

Wilhelm Oberhaus , 1901 - 1942 (41 Jahre), katholischer Priester, Jugendseelsorger, Vikar der St. Clemens Gemeinde, ermordet am 20. September 1942 im Konzentrationslager Dachau.

Alle drei stammten aus Dortmund-Hombruch oder hatten beruflich dort gewirkt.

Am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am 27. Januar 1945, der zum deutschen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus und zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts ausgerufen wurde, findet hier eine Kranzniederlegung statt, zu der Pfarrer Wieschhoff 2017 folgende Ansprache hielt:

"Sehr geehrte Gedenkende,
72 Jahre ist es her, dass das von der humanistisch und christlich geprägten Tradition Europas Undenkbare sich nicht nur als denkbar, sondern gar als praktiziert erwies.

Mit der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz - Birkenau durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 wurden nicht nur tausende bis zum nahen Tod abgemagerte Häftlinge befreit. Es wurde auch offenbar, mit welchem Vernichtungswillen und welcher Perfektion das Unfassbare durch Deutsche, die sich zum Nationalsozialismus bekannten, praktiziert wurde:

Fast 1,2 Millionen Menschen sind allein in diesem Lager erniedrigt, gequält, getötet und verscharrt oder verbrannt worden. Das Wort von der "Vernichtungsmaschinerie" hat hier seinen Ursprung.

Hier hat sich gezeigt, wozu Menschen fähig sind, wenn sie unbeschränkte Macht über andere erhalten. Auf Befehlsnotstand konnte sich hier niemand berufen, die Verantwortlichen und Täter und Täterinnen waren nicht gegen ihren Willen dort. Oft im Gegenteil: Sie genossen die Macht, die sie hatten und zogen häufig auch materiellen Vorteil aus dem Leid der Gefangenen.

Nicht einmal 9 Jahre hat es gebraucht, von 30. Januar 1933 bis zur Wannseekonferenz am 20. Januar 1942, also letzten Montag vor 75 Jahren, ein gesellschaftliches Klima aus Verleumdung, Terror und Angst zu schaffen, in dem die Verschleppung von Millionen Menschen möglich wurde.

Nicht einmal weitere drei Jahre dauerte es, bis Millionen Menschen fern der Kriegsfront systematisch getötet und vernichtet wurden.

Vernichten ist noch grausamer als Töten, denn es sollte jegliche Erinnerung an die Getöteten beseitigt und vernichtet werden:

kein Grab, an dem Angehörige trauern können

keine Würdigung der Biographie

keine persönlichen Hinterlassenschaften

alle Erinnerung an die Getöteten sollte gelöscht und für die Zukunft unmöglich gemacht werden.

Allein deshalb ist es wichtig, sich der Verschleppten und Getöteten zu erinnern. Auch wenn es angesichts der großen Zahl der Opfer nicht möglich ist, alle zu benennen, so leben doch auch heute noch Verwandte, Freunde, ehemalige Nachbarn der Getöteten. Ihr Leid, ihr Schmerz, ihre Erinnerung ist immer persönlich, aber all dies Schreckliche soll nicht individuell bleiben. Als gesamtes Volk, auch als Nachgeborene tragen wir Verantwortung, haben wir Grund zur Scham. Wie gut, dass der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus als Tag der Mahnung in Deutschland seit 1996 als bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag existiert! Im Jahr 2005 wurde der 27. Januar durch die Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erklärt.

Als Pfarrer darf ich sagen: Vor Gott ist jeder Mensch einzigartig, von ihm gekannt und geachtet. Daher erhält er seine Personalität und seine Würde, die niemand rauben kann. Und zu dieser Würde gehört auch die Verantwortung füreinander, die Achtung vor dem Leben und auch der Würde eines jeden Menschen.

Ich habe in Berichten über die Zeit des Nationalsozialismus gelesen, (als Nachgeborener ist das neben Augenzeugenberichten die Quelle meiner Information), dass auch in Hombruch sich trotz aller Angst und Strafe viele Menschen für Bedrohte eingesetzt haben. Sie haben Brot und Nahrung verschenkt, Obdach geboten, sich trotz Boykottaufrufs zu den Menschen bekannt und bei denen gekauft, die ausgegrenzt und verleumdet wurden.

Was heute so selbstverständlich klingt, erforderte damals viel Mut. Wie gut, dass es Menschen gab, die diese Grundwerte christlichen Handelns praktizierten:

Hungrige speisen, Obdachlose beherbergen, sich zu Geächteten zu bekennen.

Auch heute brauchen wir Menschen, die diese Grundwerte wertschätzen und praktizieren.

Manche haben auch politisch gearbeitet, wurden verhaftet, andere mussten fliehen oder untertauchen. Einige verloren ihr Leben im Kampf für ihre, die Würde anderer schätzende Überzeugung.

Hier sei gedacht an die Menschen, die stellvertretend für viele auf dieser Tafel genannt sind: Auf dieser Ehrentafel (nicht Schandtafel, wie es aus anderen politischen Kreisen verlautete).

Friedrich Husemann, 1873 - 1935 (62 Jahre), Bergarbeiterführer, Reichstagsabgeordneter der SPD, ermordet am 15. April 1935 im Konzentrationslager Esterwegen

Hans Grüning, 1917 - 1944 (37 Jahre), Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes, am 24. Juni 1944 im Zuchthaus Brandenburg mit dem Fallbeil hingerichtet

Wilhelm Oberhaus, 1901 - 1942 (41 Jahre), katholischer Priester, Jugendseelsorger, Vikar der St. Clemens Gemeinde, ermordet am 20. September 1942 im Konzentrationslager Dachau.

Ihnen allen, denen, die öffentlich und auch denen, die im Stillen und Verborgenen Menschen- und Nächstenliebe bekannt und praktiziert haben, gilt unser Gedenken, unsere Anerkennung, unser Dank.

72 Jahre, das heißt doch mindestens zwei, fast drei Generationen später, sind die meisten der jetzt lebenden Menschen nicht Täter gewesen. Ist damit alles vorbei und von der Geschichte sanft bedeckt? - Nein, ist es nicht und darf es nicht sein und nicht werden. Für mich aus den vier folgenden Gründen:

Ohne Gedenken würden der infernalische Schrecken des Geschehens in Auschwitz und die Verbrechen der NS-Herrschaft relativiert. Wir haben uns zu diesem dunklen und grausamen Abschnitt unserer Geschichte zu bekennen. Wir brauchen keine 180° Wende unserer Erinnerungskultur, wie der Thüringer Vorsitzende einer Partei gefordert hat.

Nur aus der angemessenen Erinnerung und dem Bekenntnis können die Gegenwart und Zukunft menschenfreundlich gestaltet werden.

Das NS-Gedankengut keimt weiter. Nicht nur die wachsende Zahl der Reichsbürger (ca. 10.000 bundesweit geschätzt) und der gewaltbereiten rechten Szene zeigen, dass auch heute noch Menschen bereit und willens sind, das menschenverachtende Gedankengut jener Ideologie aufzunehmen und fortzusetzen. Dem gilt es, energisch und auch aufklärend entgegenzutreten.

Wir brauchen die Mahnung zur Achtsamkeit aufeinander als Grundwert sowohl des jüdischen, des christlichen Glaubens und der europäischen Tradition. Nie wieder darf es dazu kommen, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihres Glaubens, ihrer Nationalität geringgeschätzt werden.

Aus dem Gedenken folgt ein Appell und Fanal zu Verständigung und Frieden. Der Einigungsprozess in Europa wäre ohne Erinnerung, Bekenntnis, Vergebung; aber auch nicht ohne Hoffnung und Vertrauen möglich gewesen. Diese Werte, die alle in der jüdisch- christlichen Tradition überliefert sind, die wir auch in der muslimischen Tradition finden, müssen immer wieder neu mit Inhalten gefüllt und gelebt werden. Nicht nur in den Köpfen müssen sie wirken, sondern auch die Herzen berühren. Denn was das Herz als Kern des menschlichen Lebens berührt, das bestimmt das gegenwärtige und zukünftige Handeln. - So lehrt es die Bibel, so hat es die Verhaltenspsychologie erkannt und beschrieben. In der Politik ganz Europas muss eben diese Verantwortung, aber auch die daraus folgende Freiheit spürbar und erlebbar werden.

Fast 72 Jahre Frieden in Deutschland ist die längste Friedenszeit der deutschen Geschichte. Dies ist möglich mit Werten, die auf der unverletzlichen Würde eines jeden einzelnen Menschen gründen. Sie gilt es auch heute zu bekennen, zu achten und immer wieder zu erinnern. Nur in der unumschränkten Achtung der Würde eines jeden Lebens ist Zukunft in Freiheit und Verantwortung möglich. Dies bleibt Aufgabe für jeden Tag."

Ralf Wieschhoff
Pfarrer der Ev. Kirchengemeinde Dortmund-Südwest
Harkortstraße 55
44225 Dortmund